Die anonyme Bewerbung
Was heißt es eigentlich, sich anonym zu bewerben?
- sich anonym zu bewerben bedeutet, dass alle Hinweise aus der Bewerbung entfernt oder unkenntlich gemacht werden, die Rückschlüsse auf Alter, Geschlecht, Familienstand oder die ethnische Herkunft des Bewerbers zulassen
- zu den in dieser Hinsicht kritischen Angaben zählen: Foto, Geburtsdatum, Angabe zu Muttersprache, Geburtsort, Kindern, Religionszugehörigkeit, Interessen, Wehr- oder Zivildienst
- entsprechende Stellen in Zeugnissen werden geschwärzt oder die Zeugnisse werden gleich ganz weggelassen
- das macht in einer Bewerbung, die postalisch zugestellt wird, freilich wenig Sinn, da allein der Name Rückschlüsse auf das Geschlecht, vermeintlich auch auf die Nationalität/ den kulturellen Hintergrund zulässt
- ein anonymer Bewerber wird daher in der Regel auf Emails oder Online-Formulare zurückgreifen
- manch ein Arbeitgeber macht sich sogar die Mühe, Bewerbungen zu anonymisieren, ehe Sie auf dem Schreibtisch eines Personalentscheiders landen
Beispiel für einen anonymisierten Lebenslauf (Download)
Welchen Sinn sollte es haben, sich anonym zu bewerben?
Eine anonyme Bewerbung kommt z. B. unter folgenden Umständen in Betracht:
- Sie möchten sich als Bewerber im Internet präsentieren und Datenmissbrauch vorbeugen
- Sie bewerben sich bei einem Arbeitgeber, der vor dem Hintergrund der allgemeinen Gleichstellung eine anonyme Bewerbung einfordert
- Sie bewerben sich seit längerer Zeit erfolglos und vermuten, dass der Grund dafür nicht in ihrer fachlichen Qualifikation liegt
Aus der Arbeitgeberperspektive soll durch ein anonymes Auswahlverfahren sichergestellt werden, dass Bewerber in der ersten Auswahlrunde gänzlich vorurteilsfrei bewertet werden, das heißt allein Ihrer fachlichen Eignung nach. Erst nach der ersten Entscheidungsrunde werden dann Details zu den selektierten Kandidaten eingeholt bzw. bekanntgegeben.
Eine anonymisierte Bewerberauswahl ist eine unternehmenspolitische Entscheidung! Wenn Sie ein konkretes Unternehmen adressieren möchten, sollten Sie sich nicht unaufgefordert anonym bewerben. Diese Form der Bewerbung ist in Deutschland, von Bewerberprofilen im Internet mal abgesehen, eher unüblich und landet bei dem einen oder anderen Personaler direkt im Papierkorb.
Wenn Sie sich seit längerer Zeit erfolglos bewerben, ohne zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden zu sein und Sie die Vermutung hegen, dass Ihr Misserfolg nicht in der fachlichen Qualifikation begründet liegt, kann es trotzdem einen Versuch wert sein, mit dieser Bewerbungsstrategie zu experimentieren.
Welchen Vorurteilen soll damit begegnet werden?
Versuchen wir mal nachzuvollziehen, was einem Personaler die Sorgenfalten auf die Stirn treiben könnte und kramen dabei mal mit voller Absicht ganz tief in der Diskriminierungsschublade. Die Auflistung der folgenden Vorurteile geschieht natürlich rein hypothetisch. Weder gibt es eine statistische Grundlage dafür, noch repräsentieren sie irgendjemandes Meinung.
Vorurteile gegenüber älteren Bewerbern:
- geringere Leistungsfähigkeit
- geringere Anpassungsbereitschaft
- überdurchschnittliche Ausfallzeiten aufgrund von Krankheit
Vorurteile gegenüber Migranten:
- mangelhafte kommunikative Kompetenz
- geringeres Arbeitsethos
- zweifelhaftes Autoritätsverständnis gegenüber weiblichen Vorgesetzten
Vorurteile gegenüber (jungen) Frauen:
- erhöhtes Ausfallrisiko durch schwangerschaftsbedingte Auszeiten
- geringere Autoritätswirkung
- Entscheidung werden auf emotionaler Basis gefällt
Vorurteile gegenüber Müttern:
- überdurchschnittliche Fehlzeiten durch Erkrankung des Kindes
- unflexibel in der Arbeitszeit
- unflexibel in der Mobilität
Vorurteile gegenüber jungen Bewerbern:
- pausenorientiert
- unselbstständig
- geringes Fachverständnis
Vorurteile gegenüber männlichen Bewerbern:
- geringeres Einfühlungsvermögen
- Dominanzstreben
- geringeres Reinlichkeitsverständnis
Was macht eine anonyme Bewerbung problematisch?
Es gibt eine Reihe von Argumenten, die – von Internetprofilen abgesehen – gegen eine anonyme Bewerbung sprechen:
- paradoxerweise schwingt in der anonymen Bewerbung selbst ein diskriminierender Unterton mit: der Bewerber unterstellt dem Arbeitgeber diskriminierendes Verhalten – dieses Misstrauen ist kein besonders guter Start
- auch der anonyme Bewerber kann sich nicht frei machen von Vorurteilen – er manövriert sich aus einer Schublade heraus in die nächste und verleitet einen Personaler womöglich zu Gedanken wie diesen:
- „Was hat der Bewerber zu verstecken? Wir wollen Bewerber, die Offenheit und Transparenz pflegen!“
- „Fehlt es ihm an Selbstbewusstsein? Wir wollen Bewerber, die an sich glauben!“
- „Fühlt er sich so sehr benachteiligt? Wer weiß, welche Keule er schwingt, wenn er mal Kritik zu hören kriegt…“
- ein Arbeitgeber, der darauf bedacht ist, eine gleichberechtigte Personalstruktur zu schaffen, indem er z. B. gezielt nach Frauen oder älteren Arbeitnehmern sucht, bekommt mit der anonymen Bewerbung eine Hürde in den Weg gelegt
- die anonyme Bewerbung ist nicht so anonym wie sie sich gibt: auch wenn sensible Daten nicht direkt benannt werden, so kann anhand der Lebenslaufdaten gemutmaßt werden, wie alt ein Bewerber ungefähr ist oder ob er sich eine familiäre Auszeit genommen hat
- die anonyme Bewerbung könnte dem Arbeitgeber genau die Informationen vorenthalten, die explizit zum Stellenprofil gehören – wenn bspw. eine weibliche Begleitperson für Ferienfreizeiten gesucht wird oder ein/e BewerberIn zwischen 18 und 25 Jahren für zielgruppenorientiertes Direktmarketing
- im Vorstellungsgespräch müssen die Karten ohnehin auf den Tisch gelegt werden – danach könnte man die Diskriminierungsdiskussion wieder von vorne beginnen – mit dem Unterschied, dass beide Seiten nun bereits Ressourcen investiert haben
- wenn ein Arbeitgeber tatsächlich zu Vorurteilen neigen sollte, wird er Sie mit einer anonymen Bewerbung erst recht nicht einladen, weil er wahrscheinlich meint, dass Sie gerade das verschweigen, was er befürchtet
- Das Auslassen eines Fotos schafft Unsicherheit beim Empfänger – Menschen wollen gerne wissen, auf wen sie sich einlassen. Bei der Entscheidung, wem man vertrauen kann oder nicht, spielt die (unbewusste) Analyse des nonverbalen Kommunikationsverhaltens eine große Rolle. Natürlich ist ein Foto in diesem Zusammenhang nur bedingt aussagekräftig, aber es ist eine erste vertrauensbildende Maßnahme.