Umgang mit Stress-Fragen im Vorstellungsgespräch
Stressfragen sind von kritischen Fragen zu unterscheiden. Kritische Fragen werden gestellt, um Eignung, Verlässlichkeit und Motivation des Bewerbers festzustellen. Ihn in Erklärungsnot zu bringen, steht dabei nicht im Vordergrund. Da sich dieser Nebeneffekt aber häufig einstellt, werden Stressfragen und kritische Fragen gerne in einen Topf geworfen. Stressfragen sollen den Bewerber tatsächlich in Verlegenheit bringen. An der Reaktion lassen sich z. B. Eigenschaften wie Souveränität, Schlagfertigkeit und Kreativität beobachten. Weil diese Anforderungen aber nur auf bestimmte Tätigkeiten zutreffen, gehören Stressfragen im eigentliche Sinne nicht zu den Standardfragen.
Provokative Fragen
Einige Fragen werden bewusst so formuliert, dass Sie als Provokation aufgefasst werden können. Häufig kommen dabei Suggestivfragen zur Anwendung.
- Glauben Sie nicht, dass Sie schon etwas zu alt sind für den Job?
- Wären Sie mit Ihrer Qualifikation nicht besser woanders aufgehoben?
- Ist der Job nicht ein Nummer zu groß für Sie?
- Wenn Sie an unserer Stelle wären, würden Sie da jemanden wie sich einstellen?
- Macht diese Frage Sie etwa nervös?
- Wie schätzen Sie Ihre Leistung im Vorstellungsgespräch bisher ein?
- Sind Sie wirklich der Ansicht, dass Ihre Krawatte zu Ihrem Hemd passt?
- Wie oft gehen Sie zum Frisör?
- Sie haben mich immer noch nicht überzeugt – warum sollen wir Sie einstellen?
- Denken Sie wirklich, dass Ihre Gehaltsvorstellung realistisch ist?
Bleiben Sie cool, hören Sie auf dem Sachohr und vertreten Sie selbstbewusst Ihren Standpunkt. Verbal-Attacken auf den Interviewer sollten Sie sich tunlichst verkneifen.
“Jetzt werden Sie mal nicht unverschämt – nur weil Sie hier die Fragen stellen dürfen.”
“Klar gehör’ ich zu den alten Hasen. Ich bin zwar nicht mehr der Schnellste, aber ich weiß, wo die Abkürzungen langgehen.”
Absurde Fragen
Bisweilen werden Bewerber mit Fragen konfrontiert, die deplatziert, ja unprofessionell wirken:
- Welche drei Gegenstände würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen?
- Mit welchem Tier würden Sie sich vergleichen?
- Mit welcher Frucht würden Sie sich vergleichen?
- Was wären Sie gerne im nächsten Leben und warum?
- Was würden Sie tun, wenn Sie morgen im Lotto gewinnen?
- Was ist der Sinn des Lebens?
- Wie reagieren Sie, wenn sich jemand vor Ihnen in die Warteschlange einreiht?
- Können Sie uns einen Witz erzählen?
Lassen Sie sich nicht irritieren – in der Regel will man Sie damit nur ein bisschen aus der Reserve locken. Am Ende kommt es mehr auf Art und Weise Ihrer Reaktion an als auf die Antwort. Wichtig ist eigentlich nur, dass Sie sich darauf einlassen können und nicht blocken. Denken Sie daran, dass auch nonverbale Signale verraten, wie aufgeschlossen Sie der Sache gegenüberstehen.
“Was soll denn die Frage? Was ist das hier eigentlich für ein Laden?”
“Welches Tier ich wär? Naja, als Controller muss ich ja immer aufpassen wie ein Luchs :-) Von daher würde das ganz gut zu mir passen.”
Performance-Tasks und Brainteaser
Im Vorstellungsgespräch werden Bewerber gelegentlich aufgefordert, ihre methodischen Fähigkeiten live unter Beweis zu stellen. Dazu werden Aufgaben gestellt, die entweder dem beruflichen Tätigkeitsfeld entlehnt sind, etwa die Durchführung einer Präsentations- oder Beratungssequenz. Oder es handelt sich um Denk- oder Schätzaufgaben, die spontan und ohne Hilfsmittel gelöst werden sollen.
Beispiele für Performance-Tasks:
- Bitte halten Sie eine kurze Präsentation zu einem selbstgewählten Thema.
- Bitte beurteilen Sie diesen Flyer.
- Verkaufen Sie mir diesen Bleistift.
- Wir wollen in den Urlaub fahren – was würden Sie uns raten?
Beispiele für Brainteaser:
- Wie viele Kugelschreiber passen in diesen Raum?
- Wieso sind Schlaglöcher rund?
- Sie sollen die Länge einer Lokomotive ermitteln, haben aber kein Maßband. Wie gehen Sie vor?
- Wie viele Kugeln Eis werden in Deutschland pro Tag und Kopf verzehrt?
Nicht jeder Brainteaser liefert ein eindeutiges Resultat. Allerdings geht es dabei auch weniger um das richtige Ergebnis als um die Herangehensweise des Bewerbers:
- Kann er wesentliche Problemelemente identifizieren?
- Stellt er Fragen, um sich zusätzliche oder fehlende Informationen zu beschaffen?
- Kann er für unbekannte Variablen realistische Annahmen treffen?
- Versteht er sich darauf, Schlussfolgerungen zu treffen?
- Zieht er Lösungsalternativen in Erwägung?
- Versucht er dabei effizient zu bleiben?
- Kontrolliert er sein Vorgehen?
- Bemüht er sich, den eigenen Denkprozess transparent zu machen?
Der letzte Punkt ist zur Beurteilung der Bewerbers von besonderer Bedeutung, denn ein Interviewer kann sich sein Urteil nur aus beobachtbarem Verhalten bilden. Die Nennung einer Lösung ist nichts wert, wenn es keinen Anhaltspunkt dafür gibt, wie sie ermittelt worden ist. Zur Lösung eines Brainteasers sollte sich ein Kandidat also nicht ins Schneckenhaus der eigenen Gedankenwelt zurückzuziehen, sondern darauf bedacht sein, beobachtbares Verhalten an den Tag zu legen, z. B. durch
- das Prinzip des Sprechdenkens
- Notizen und Visualisierungen
- körpersprachliche Signale
- eine Lösungserläuterung
Hier ein Beispiel zur Problemstellung “Wie viele Kugelschreiber passen in diesen Raum?”
“Keine Ahnung … wie soll ich denn das Volumen eines Kugelschreibers berechnen? Da kann ich nur schätzen … vielleicht 10.000?”
Dieser Bewerber konnte zwar ein Problemelement richtig identifizieren, lässt sich aber von einer vermeintlichen Wissenslücke ausbremsen. Er kann die Frage nicht zufriedenstellend beantworten.
“Wie viele Kugelschreiber in diesen Raum passen … Sie wissen nicht zufällig, die Abmessungen dieses Raumes? Nein - das dachte ich mir. Dann geh ich’s kurz ab, wenn Sie erlauben? Ok. Also - eins, zwei, drei, vier Meter breit. Eins, zwei, drei, vier, fünf Meter lang. Und Raumhöhe ist ja meistens 2,40 m. Dann haben wir ja schon mal ein Raumvolumen von … ein zehntel von 20 sind 2, mal vier sind 8 … macht 48 Kubikmeter. Könnte ich mir grad Notizen machen? Gut, jetzt ist ohnehin die Frage, steht in dem Raum was drin? Wissen Sie nicht … aber warum sollte man einen möblierten Raum mit Kulis vollstopfen … egal … die Frage ist ja sowieso, wie viele theoretisch in den Raum passen würden … da will ich ja wissen, wie viele da maximal lagerbar sind ... also vernachlässige ich das mal mit den Möbeln. Fehlt noch das Volumen für’n Kuli. Da ich jetzt die Formel für das Volumen von Zylinder nicht zur Hand hab, geh ich mal davon aus, dass die Kulis quaderförmig sind. So’n Kuli ist vielleicht 15 cm lang, ‘n Zentimeter breit und ‘n Zentimeter tief – also 15 Kubikzentimeter. Ein Kubikmeter sind … 100 mal 100 mal 100 cm, sind gleich eine Million Kubikzentimeter. 48 Millionen durch 15 sind … äh … die 15 passt in die 48 drei mal … Rest drei … drei Fünfzehntel sind ein fünftel sind 0,2. Also 3,2 mal ne Million macht 3,2 Millionen. Ok, ich denk, ich hab’s. Also noch mal für Sie zur Erläuterung: das Raumvolumen beträgt 48 Kubikmeter, das Kugelschreibervolumen beträgt 15 Kubikzentimeter. Hier muss ich also umrechnen. Und die Division ergibt dann 3,2 Millionen Kugelschreiber, die theoretisch in diesen Raum passen – quaderförmige wohlgemerkt und ohne Raumverlust durch Verpackung oder Lagerbedingungen.”
Dieser Bewerber macht vieles richtig. Er unternimmt den den Versuch, sich zusätzliche Informationen zu beschaffen, er ergreift Initiative, praktiziert die Methode des Sprechdenkens und macht sich Notizen. Darüber hinaus hinterfragt er die Sinnhaftigkeit seiner Annahmen und fasst schlussendlich sein Vorgehen noch mal zusammen.