Wahrheit und Wohlwollen im Arbeitszeugnis
- eine Eigenheit von Arbeitszeugnissen besteht darin, dass Sie offenbar immer „wohlklingend“ formuliert sind
- die Annahme, dass ein Arbeitnehmer in Arbeitszeugnissen immer positiv beurteilt werden muss, ist jedoch falsch – im Zweifelsfall gilt nämlich der Grundsatz: “Wahrheit geht vor Wohlwollen”, das heißt, das Interesse des Arbeitgebers an einer wahrheitsgetreuen Einschätzung des Arbeitnehmers wiegt schwerer als das Interesse des Arbeitnehmers an einer positiven Bewertung
- der Anspruch, eine Balance zwischen Wahrheit und Wohlwollen herzustellen, hat eine Zeugnissprache hervorgebracht, die sich verschiedener Verschlüsselungstechniken bedient, um Kritik zwischen den Zeilen zu platzieren
Ein Beispiel: „Er zeigte eine sichere Urteilsfähigkeit in vertrauten Zusammenhängen.“ klingt zunächst einmal positiv. Zwischen den Zeilen ist jedoch Kritik an der mangelnden Flexibilität des Arbeitnehmers herauszulesen: in ungewohnten Situationen hat er schnell den Überblick verloren.
- ein Arbeitszeugnis muss grundsätzlich der Wahrheit entsprechen, es darf nichts hinzugedichtet, es dürfen keine Vermutungen angestellt und schlechte Leistungen dürfen durchaus schlecht beurteilt werden
- aber: der Arbeitgeber ist angehalten das Zeugnis wohlwollend zu formulieren, das heißt, der Arbeitnehmer darf nicht wörtlich schlechtgeredet werden, so dass sein berufliches Fortkommen gefährdet wäre (BGH 26.11.1963, VI ZR 221/62)
- “Er arbeitete unkonzentriert und fehlerhaft” würde dem Wohlwollensgrundsatz widersprechen – wohlwollend formuliert könnte es lauten: “Er war um Sorgfalt bemüht.”
- wohlwollend heißt z. B. auch, dass der Arbeitgeber bei einmaligen Verfehlungen mal “ein Auge zudrücken” sollte (ArbG Bremen 04.07.1968, 4 Ca 4390/67 sowie BAG 23.06.1960, 5 AZR 560/58)
- negative Beurteilungen sind also nur dann gerechtfertigt, wenn sie für das gesamte Beschäftigungsverhältnis charakteristisch sind